Verein für Heimatkunde Merzig e.V.
  
Deportationen von Familien im Güterwaggon mit unbestimmtem Ziel – ja, das gab es auch noch nach 1945 im Saarland. Welche Umstände stecken dahinter?
 
Eine historische Einordnung von Stefan Haas

Hierzu hat Cornelia Wacheck ihre Erinnerungen als betroffene Zeitzeugin, damals war sie ein junges Mädchen, in der fünften Ausgabe von merziger geschichte, niedergeschrieben.

Alles begann am 1. Juli 1946. Als zeitgleich die ersten Judenpogrome der Nachkriegszeit in Polen abliefen, wurde Cornelia Wacheck und ihre drei Geschwister ganz unvermittelt von Polizisten am Montagmorgen aus der Schule geholt. Mit ein paar Habseligkeiten beladen (Kleidungsstücke in Kartoffelsäcken) wurde die Kinder mit der Mutter auf einem LKW zum Güterbahnhof verfrachtet. Der Vater blieb interniert „im Ulanen-Bunker“ in Saarbrücken. Hungerleidend kamen sie irgendwann in einem ehemaligen Gefangenenlager im hohenzollern-württembergischen Teil der frz. Besatzungszone an.
Es sind natürlich die Themen wie Hunger und Kälte, die der Zeitzeugin vorrangig und traumatisch im Gedächtnis blieben. Die Ausweisung wurde 1948 aufgehoben, was die Familie aber, wohl aus reiner Schikane im Rathaus Merzig, erst 1949 erfuhr
Auch noch interessante: Die Zeitzeugin erhielt später auf ihre Eingebung hin eine Entschädigung von 50 D-Mark für das „Leben unter haftbedingten Umständen“.

Die Autorin möchte ihre Erinnerungen an diese Zeit als Ergänzung verstanden wissen zum Buch „Raus aus der Saar“ von Hans Eckert¹. Hierbei handelt es sich aber nicht um die Anweisung eines Bademeisters und auch nicht um ein Fachbuch zum Thema, sondern um eine teil-dokumentarische Darstellung mancher Ausweisungen aus dem Saarland von 1946 bis 1953 an prominenten Einzelbeispielen (u. a. und vor allem Pfarrer Franz Bungarten², Karl Walz³  und Heinrich Danzebrink⁴).

Es werden Einzelschicksale nicht fiktional, aber doch dramaturgisch und prosaisch ambitioniert miteinander verwoben. Konkret geht es um die Tagebuchaufzeichnungen einer Frau Gisela Koch aus St. Wendel, die das Schicksal ihrer Ausweisung niemals mehr losließ. Bis 1996 litt sie (gleichsam mit Millionen, Milliarden von gewaltsam entrückten Menschen im 20. Jahrhundert und der allumfassenden Menschheitsgeschichte) an den depressiven Nachwirkungen der Ausweisungs-Erfahrungen. Dann entschloss sie sich dazu ihren Kopf auf den Schienen vom Körper trennen zu lassen, in der Hoffnung auf ein besseres Zuhause in der jenseitigen Welt.

¹ Hans Eckert aus Saarbrücken, Lehrer von Beruf (1938 – 2004) verfasste etwa 14 politisch motivierte Erzählungen, von denen das hier genannte Buch 2002 als letztes von ihm erschien.
² Franz-Josef Bungarten (* 4. Februar 1876 in Ammerich; † 7. September 1965 in Bad Neuenahr) war ein katholischer Pfarrer und saarländischer Politiker.
³ Karl Walz (* 22. Oktober 1900 in Ludwigshafen am Rhein; † 17. April 1990 in Saarbrücken) war ein deutscher Politiker der CDU.
⁴ Heinrich Danzebrink (* 2. Januar 1899 in Prüm; † 15. Oktober 1964 in Koblenz) war ein deutsch-französischer Jurist und saarländischer Politiker.

An dieser Stelle besteht die Möglichkeit einzuhaken und den Zeitzeugenbericht von Frau Wacheck in einen historischen Kontext zu stellen. Aber: Welchen Informationen kann man zu diesen Umständen habhaft werden?

Von Rainer Möhler wurden, im Rahmen seiner Publikation über das Thema „Entnazifizierung in der fr. Besatzungszone, zu Beginn der 90er-Jahre frz. Akten ausgewertet. Dessen Erkenntnisse können hier etwas Licht ins Dunkel bringen. Aber:
Dafür, dass schätzungsweise 500 Personen ausgewiesen und deportiert wurden, handelt es sich bei dieser Thematik um einen weißen Fleck auf der Landkarte lokalhistorischer Geschichtsschreibung. Denn: Akten der zuständigen Behörden wurden vernichtet oder Listen wurden erst gar nicht geführt. Für den weißen Fleck, die unaufgearbeitete Thematik spricht als großer Beleg auch die Tatsache, dass der geschätzte Rainer Freyer im Rahmen seiner online-Dokumentation des Saar-Staates (www.saar-nostalgie), wofür er immerhin von der saarländischen Landesregierung geehrt wurde, nichts zu be-richten vermag – das heißt er stieß in jahrelanger Recherche-Arbeit gar nicht auf diese Thematik oder er fand dafür eben gar keine Quellen und Anhaltspunkte. Im Kapitel über Lebensmittelkarten schreibt er lediglich:
"In den ersten beiden Nachkriegsjahren herrschten Hunger und Not, Zerstörung und Elend, Verfolgung und Angst vor Ausweisung. Hinzu kam noch die Sorge um den Arbeitsplatz und wie es weitergehen sollte."
Und im Kapitel über die Eisenbahn im Saarland wird kurz und knapp erwähnt, dass ein Dr. Karl Fischer im Juli 1946 ausgewiesen wurde, „weil er den Forderungen nicht nachkam“.

In keinem Fall um verlässliche Quellen, aber doch um Anhaltspunkte, handelt es sich bei den (auto-biographisch-propagandistisch-geschichtsklitternden) Äußerungen der maßgeblich politisch Handelnden im Saarland zum zwecke der Eigendarstellung in günstigem Licht:
Johannes Hoffmann (CVP) gibt in seinem Buch folgende Werte vor: Bis Februar 1951 habe er sich für die Rücknahme von 867 Ausweisungen eingesetzt. Bis zu 50 Ausgewiesene sollen es noch im Jahr 1955 gewesen sein. Sein politischer Gegner Heinrich Schneider nennt die Gesamtzahl von 2500 Ausgewiesenen.
Bei den Ausgewiesenen geht es vor allem einerseits um preußisch-zugezogene Nicht-Saarländer (und deren Familien) → Entpreußung und andererseits um die Hitlersleute (SA, SS, SD, NSDAP-Parteigänger und – Funktionsträger, also Anhänger der Hitleridee →Entnazifizierung.

Vor dem Hintergrund der sich schämenden Franzosen angesichts ihrer naiv-blauäugigen Dummheit in den 30er-Jahren, ihres immensen militärischen⁵ und politischen⁶ Versagens vor der Weltgemeinschaft, gab es sehr rigide Phantasien und Pläne, wie denn die Deutschen in ihrer Besatzungszone zu behandeln und zu denazifizieren seien. Dabei spielte das Saarland sicherlich eine Sonderrolle in Abgrenzung der restlichen frz. Besatzungszone. Ursprüngliche Pläne einzelner französisch militärisch-politisch Handelnder sahen etwa die Ausweisung von 150.000 Personen (samt Familien) vor. Deren Wirtschaftskraft sollte durch den gezielten Zuzug von Italienern, Polen und Franzosen selbst ausgeglichen werden.

⁵ Hilflose Unterlegenheit im dt.“Westfeldzug“ bei gleichzeitiger Annahme hoher militärischer Stärke.
⁶ Kollaboration des Vichy-Régimes u.a.  im Holocaust.

Im März 1946 waren die Planungen für eine erste Ausweisungsaktion abgeschlossen. Über ein Spitzelsystem (Denunziationen aus der Bevölkerung) und auf der Basis von Entnazifizierungsverfahren und „weiteren eigenen Erkenntnissen“ wurden 847 Personen erfasst. Zum 2.7.1946 wurden schließlich 504 dieser Personen (und deren Familien) ausgewiesen. Einer Statistik in der Abhandlung Möhlers zufolge wurden besonders aus dem Raum Merzig, Saarlouis, Saarbrücken und Ottweiler viele Bescheide, aufgrund besonderer Fürsprache, zurückgenommen. Im Raum Merzig waren es 72 erfasste Personen, von denen 45 ausgewiesen wurden.

In diese Anzahl von 45 wäre auch Franz Wacheck, der Vater der Zeitzeugin Cornelia Wacheck zu inkludieren – wäre da nicht eben jene Aussage der Tochter, dass der Vater im Ulanen-Gefängnis in Saarbrücken sei. Das bedeutet: Nur die Familie wurde ausgewiesen, der Vater blieb bis 1948 in Saarbrücken interniert. Er reiste erst  nach seiner Freilassung zu seiner Familie nach Haigerloch.

Französischen Ausweisungs-Phantasien in noch größerem Maße haben übrigens die alliierten Engländer und Amerikaner einen Riegel vorgeschoben, indem sie eingehend auf die gültigen Menschenrechtskonventionen aufmerksam gemacht haben.
Denn: Für 1947 war eine noch größere Ausweisungs-Welle (15.000 Personen und ihre Familien) geplant. Aber auch nicht zuletzt wegen Streitereien und Befindlichkeiten der handelnden frz. Personen untereinander (Grandval, Laffon, Koenig) fand diese großangelegte Ausweisungsaktion nicht statt.

Auf der Basis von Entnazifizierung und Entpreußung waren es schließlich 116 Personen (und ihre Familien), die zum 11.4.1947 das Saarland verlassen mussten. Allerdings wurden diesen Personen nun weitaus größere Möglichkeiten eingeräumt – etwa freie Ortswahl, Erhalt des Vermögens, kein Transport im Viehwaggon usw.
Interessant sind auch die Zahlenangaben über Ausgewiesene, die explizit nicht in die Kategorien von Entpreußung und Entnazifizierung fallen, sondern als „einzelne Ausweisungen“ vermerkt wurden. 1946 und 1947 waren dies 94 Personen – einschließlich ihrer Familien insgesamt 312 Personen.
Dazu kommen 37 Personen mit ihren Familien, die explizit von der saarländischen Regierung zwi-schen 1948 und November 1954 des Landes verwiesen wurden.
Doch nicht nur den Franzosen ging es im Rahmen von Entnazifizierung und Entpreußung darum Menschen auszuweisen. Nein, auch die politisch Handelnden im Saarland nutzen dieses Instrument, um unliebsam gewordene Vertreter gehoben-populärer Berufsgruppen mundtot zu machen. Jene Menschen waren offenbar nicht bereit, einen neofaschistischen Weg erneut mitgehen zu wollen und zu können, weswegen man sie wegen ihrer „anti-französischen Haltung“ als „pangermanistes notoire“ drangsalierte und regelrecht loswerden wollte. 

Es soll sich hierbei um die folgenden Berufsgruppen gehandelt haben:

Pfarrer

Politiker

Ärzte

Lehrer

Rechtsanwälte

Polizisten

Sportler

Gewerkschaftler


Es geht im Wesentlichen um die folgenden Punkte, mit denen man bei der Regierung aneckte:

  • Widerstand gegen die Lostrennung von Deutschland und der Anbindung an Frankreich
  • Menschenrechtsverletzungen seitens der frz. Besatzungsmacht und der Saarländischen Regierung
  • Widerstand gegen das „Hoffmannregime“, gegen die „Demokratur „Johos“

        -   Protest gegen eingeschränkte Pressefreiheit und Presseverbote

        -   Protest gegen Parteienverbote

  • Überwachung und Bespitzelung der eigenen Bevölkerung

        - Aufhebung von Briefgeheimnis, Abhören von Telefonaten

        → Saarland als „DDR im Kleinen“

 

  • Disziplinierung der Bevölkerung durch Verbreitung von Angst und Unsicherheit


Erst die später folgende Übergangsregierung unter Heinrich Welsch hatte schließlich nach dem Rück-tritt Johannes Hoffmanns Ende 1955 die Ausweisungen generell aufgehoben. Dazu ist bei Freyer wie folgt zu lesen:

"Auf ihren ersten Kabinettssitzungen Anfang November 1955 beschloss die Übergangsregierung, zahlreiche Maß-nahmen aufzuheben, die die Hoffmann-Regierung in den letzten Jahren aus politischen Gründen getroffen hatte. Dazu gehörten Ausweisungen aus dem Saarland, Amtsenthebungen und Beschränkungen der Aufenthaltsgenehmigung sowie Sanktionen gegen hohe Beamte, die sich in den letzten Tagen vor der Volksabstimmung den pro-deutschen Parteien angeschlossen hatten. Zahlreiche andere Beamte wurden entlassen, und der Pressedienst der Regierung wurde geschlossen. Außerdem (…) löste (sie) die politische Abteilung der Saar-Polizei auf."

 

Einige der Ausgewiesenen aus der ersten Welle von 1946 konnten bereits zwei Jahre später ins Saarland zurückkehren. Wer wie lange fortblieb und fortbleiben musste, das ist nicht zu eruieren.

Zahlen und Statistiken darüber, wie viele der ausgewiesenen Personen und deren Familien wieder ins Saarland zurückkamen, die gibt es nicht.
Die Planstelle von Wacheck auf dem städt. Tiefbauamt in Merzig, die er einst innehatte, war zwischenzeitlich anders vergeben. Von der Baufirma Jager wurde schließlich mit der Bauleitung zum Wiederaufbau einer Brücke in Trier beauftragt.
Im Sommer 1949 kehrte die Familie schließlich in ihr Haus in Merzig zurück. Bis Franz Wacheck wieder seine Stelle im Tiefbauamt bekam, kam er noch im Straßenbau unter.
Als Stadtbauoberinspektor wurde Franz Wacheck vermutlich Ende der 50er-Jahre in Merzig pensioniert. Im Alter von 83 Jahren verstarb er 1982 in Merzig.

 


  

Quellen- und Literatur:

 

 

Quellen:

 

  • Bungarten, Franz: Ich darf nicht schweigen. Meine Ausweisung aus dem Saargebiet. Köln 1951.
  • Hoffmann, Johannes: Das Ziel war Europa. Der Weg der Saar 1945–1955. O.O. 1963.
  • Schneider, Heinrich: Das Wunder an der Saar. Ein Erfolg politischer Gemeinsamkeit. Stuttgart 1974.

Literatur:

  • Eckert, Hans: Raus aus der Saar. Ottweiler 2002.
  • Möhler, Rainer: , Entnazifizierung in Rheinland-Pfalz und im Saarland unter französischer Besatzung von 1945 bis 1952 (Veröffentlichung der Kommission des Landtages für die Geschichte des Landes Rheinland-Pfalz, Band 17). Mainz 1992.

Internet:

  • https://de.wikipedia.org/wiki/Franz-Josef_Bungarten, abgerufen am 23.7.2024
  • http://www.saarland-biografien.de/frontend/php/ergebnis_detail.php?id=785, abgerufen am 23.7.2024

 Abbildungen:

  • Sammlung J. P. Haben, Bürgerarchiv Merzig.

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